"Die Angst verhindert nicht den Tod, die Angst verhindert das Leben." Nagib Mahfuz

Die Angst scheint gerade allgegenwärtig. Sprichwörtlich haben wir es alle mit der Angst zu tun. Manche mehr. Manche weniger. Häufig geht es um existentielle Ängste. Was es gefühlt nicht leichter macht.

Einen klaren Vorteil haben wahrscheinlich all diejenigen, die mit Ihr konfrontiert waren und einen Umgang gefunden haben. Im Wissen darum, dass die Angst ein Teil von uns ist, wird man nicht so leicht von Ihr übermannt. Und doch, in Anbetracht der Nachrichten, der Maßnahmen, und in der Allgegenwärtigkeit einer Begrifflichkeit neben der momentan nichts Anderes mehr zu existieren scheint, fällt es schwer, sie nicht übermächtig werden zu lassen. Gut vorstellbar, was in all den Menschen vorgeht, die der Angst nichts abgewinnen können. Die einer so genannten Risikogruppe angehören. Die, infolge der Situation, um ihre Liebsten oder um ihre Existenz fürchten müssen.

Die für mich erstaunlichste und zugleich scheinbar einfachste und offensichtlichste Begleiterscheinung liegt in der Beobachtung, dass alle Menschen gegenwärtig genauso agieren und reagieren wie immer.

Nur extremer.

Logisch, wir sind ja auch extrem gefordert.

Ich sehe genau hierin eine großartige Chance. Eine Möglichkeit der Weiterentwicklung, des Hinauswachsens über das, was wir bislang für möglich gehalten haben.

Ich denke an eine wachsende Solidarität, an ein neues Miteinander, an Unterstützung. In allen denkbaren Formen.

Und ich denke daran, dass es in herausfordernden Zeiten, in denen wir sogar an gewohnter Freiheit einbüßen müssen, möglich ist, an genau diesen Grenzen und Grenzerfahrungen, die wir jetzt machen müssen und dürfen, wachsen zu können.

Echtes Wachstum hat natürlich immer auch Teile von Auseinandersetzung, von Reibung, von Neuem, bislang Unbekanntem. Von Schmerz. Von Ungewissheit und Ungeduld. Von Aushalten und Durchhalten.

Dies gilt gleichermaßen für Lebensereignisse, für gesellschaftliche Umstände, für zwischenmenschliche Beziehungen.

Hier und jetzt sind wir alle gefordert. Im Kleinen wie im Großen.

Fangen wir doch bei uns an.

In unseren Beziehungen, in der Familie, mit den Menschen, mit denen wir gerade ungewohnt viel Zeit geschenkt bekommen.

Was für eine Möglichkeit, alten Strukturen eine neue Richtung zu geben, miteinander auszuhalten, Neues auszuprobieren, Grenzen neu zu verhandeln, über sie hinauszuwachsen. Zu erkennen, wo es leicht und wo es schwierig ist. Zu reden, wo sonst geschwiegen wird. Zu schweigen, wo sonst geredet wird.

Erfahrungen zu machen.

In der Beschränktheit einer Quarantäne.

Mit den Menschen, die da sind. Hier und jetzt.

Und darüber hinaus.

Die daraus entstandenen Möglichkeiten, die Blickrichtungen, die Erfahrungswerte, die Gefühle – tragen uns in eine Welt hinaus, die nicht mehr so sein wird, wie davor.

Diese gedachte und gefühlte Zukunft wird so für mich hoffnungsvoll.

Wir haben gelernt, aus einer Krise. In einer Krise. Durch eine Krise.

Mithilfe von Menschen.

Wir haben geklärt, positive und negative Gefühle und Momente ausgehalten.

Wir haben Ressourcen und Potentiale erkannt. Wir haben uns gestärkt und geschwächt.

Damit hinaus ins Leben zu gehen. Damit den Herausforderungen zu begegnen, die dann auf uns zukommen. Damit die zu unterstützen, denen nicht die Möglichkeit gegeben war, Kraft und Energien zu sammeln.

Das bedeutet für mich Leben.

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