LIEBE.VOLLE(R).ERWARTUNGEN.

„Die Schultern eines Kindes sind nicht dazu da, die Erwartungen ihrer Eltern zu tragen.“ Unbekannt

So ein schöner Satz. So wahr. So eingängig. So nachvollziehbar. So klar. Und so scheinbar logisch.

Und dennoch.

Kaum ein Mensch ist ohne Erwartungen. Erwartungen an sich selbst. Erwartungen an andere.

Beim Lesen dieses Zitates sind mir sofort Bilder von Eltern in den Kopf gekommen, die von ihren Kindern erwarten, dass sie einen angesehenen, akademischen, gut bezahlten Beruf wählen. Von Unternehmerfamilien, in denen meist eines der Kinder mit der generationalen Erwartung konfrontiert ist, das Familienunternehmen weiterzuführen. Und dies natürlich überwiegend in traditioneller Form.

Was den Kindern da aufgeladen wird, ist den meisten Eltern wahrscheinlich nicht bewusst. Ihr Blick ist darauf gerichtet, sich in Gestalt der eigenen Kinder, eigene unerfüllte Wünsche und Träume zu erfüllen. Traditionen fortzusetzen. Fast immer unter dem Vorwand, das Beste für die Nachkommen zu wollen. Sie sollen es besser machen und haben, als man selbst. Man glaubt, beseelt von den eigenen Ideen und der dazugehörigen Vorstellung, die Kinder in eine gute und bessere Zukunft zu geleiten.

Oder zu drängen. Zur eigenen Bedürfnisbefriedigung. Zur Wunscherfüllung. Zur Selbstberuhigung. - Neigen wir dazu unseren Kindern etwas aufzuladen, was nicht ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Was nicht zu ihnen gehört. Sondern zu uns. Das sollte uns klar sein.

Erst beim zweiten Lesen des Zitates und nachdem ich mir beim Ersten innerlich lächelnd auf die Seite meiner Schultern geklopft habe, die mich als gute Mutter auszeichnet, die sich ganz klar von projiziertem Erwartungsdruck distanziert… Erst dann hörte ich mich selbst sagen, als mein 10-jähriger Sohn mir stolz verkündete, er habe sich für die Posaune in seinem Schulorchester entschieden: „Posaune? Warum denn nicht Saxophon? Wie wir es besprochen hatten.“

Wir hatten gar nix besprochen! Ich hatte ihm gesagt, dass, wenn schon Blasinstrument, ja wohl das Saxophon am coolsten sei. Er sagte mir aber nun: „Ich werde Posaune spielen.“ Gedacht hab ich: „Na super.“ Gesehen habe ich meinen Vater, im ultrakonservativen Posaunenchor. Geantwortet habe ich: „Na gut. Ist doch auch schön.“ Geglaubt hat mir das ganz sicher niemand.

Ich habe mich auch schon einmal sagen hören, als Antwort auf die Frage, warum mein Sohn zur Realschule geht (Was eigentlich soll eine solche Frage?): „Schule ist nicht so sein Ding.“ Ich schäme mich dafür. Und ich muss nicht erwähnen, dass ich selbst zur Realschule gegangen bin. Beschwichtigt habe ich mich daraufhin mit dem gleichen ‚Ich wünsche mir doch nur das allertollste Leben für ihn‘-Schwachsinn, wie ich ihn insgeheim anderen Eltern vorwerfe.

Klar ist. Inzwischen auch mir in den allermeisten Situationen. Ich darf auf die Stimme meines Kindes hören und darauf vertrauen, dass es, mit meiner Unterstützung, selbst herausfinden wird, was SEIN allertollstes Leben ist.

Kinder können natürlich, im Laufe ihres Heranwachsens nicht zu jedem Zeitpunkt und in jedem Alter selbst bestimmen, was perspektivisch ‚richtig‘ für den eigenen Lebensweg ist. Dazu fehlt es manchmal an Weitsicht und an Reife.

Wir Erwachsenen dürfen aber lernen, Interesse für die Wünsche und Vorstellungen der Kinder zu haben. Zuzuhören, aufmerksam zu sein. Sie zu bestärken, Dinge auszuprobieren, ihrem Gefühl zu folgen. Im Bewusstsein dafür, dass Fehler zum Lebens- und Lernprozess gehören. Wir dürfen neben unseren Kindern gehen, hinter unseren Kindern stehen. Manchmal auch ein Stück vorneweg, richtungsweisend. Bestärkend. Klar. Und in Liebe und Verbindung.

Denn ich bin mir sicher, dass wir nicht wollen, dass sie ein Leben führen, dass nicht ihrem eigenen Weg entspricht.

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